Ein Kommentar zum Kurswechsel der EU-Kommission bei der CSRD
Weckruf oder Kurskorrektur?
Die EU war lange Zeit Vorreiterin, wenn es um die verbindliche Verankerung von Nachhaltigkeit in unternehmerisches Handeln ging. Mit der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) und den dazugehörigen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) wollte Brüssel nichts weniger als die Spielregeln der Wirtschaft neu schreiben – weg vom rein finanziellen Denken, hin zu einer doppelten Wesentlichkeit, die ökologische und soziale Auswirkungen ebenso ernst nimmt wie finanzielle Risiken und Chancen.
Mit dem im Februar 2025 veröffentlichten Omnibus-Simplifizierungspaket – offiziell COM (2025) 81 final – vollzieht die Kommission nun eine deutliche Kursanpassung. Der Entwurf sieht weitreichende Änderungen vor, die unter dem Stichwort „Entlastung“ zwar Bürokratie abbauen, gleichzeitig aber auch eine merkliche inhaltliche Reduzierung mit sich bringen.
Das wirft die Frage auf: Erleben wir hier einen Wendepunkt in der europäischen Nachhaltigkeitspolitik – oder eine notwendige Nachjustierung, um Nachhaltigkeit langfristig tragfähig zu machen?
Das sind die empfohlenen Anpassungen:
- Wegfall sektorspezifischer ESRS-Standards: Die Veröffentlichung ursprünglich geplanter, branchenspezifischer Berichtsstandards soll wegfallen. Diese sollten ein entscheidendes Instrument für Vergleichbarkeit, Relevanz und Präzision in der Berichterstattung mit sich bringen.
- Beibehaltung der „limited assurance“: Statt wie geplant zu einer vertieften „reasonable assurance“ überzugehen, bleibt es dauerhaft bei einer oberflächlichen, begrenzten Prüfung der Nachhaltigkeitsinformationen.
- Erhöhung der Schwellenwerte: Die Berichtspflicht soll künftig nur noch für Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden gelten und die Bilanzsummen bzw. Umsatzgrenzen steigen signifikant (25 Mio. EUR Bilanzsumme bzw. 50 Mio. EUR Umsatz).
- Verschiebung der Anwendungszeitpunkte: Unternehmen, die ab 2026 oder 2027 berichtspflichtig geworden wären (insbesondere KMU, nicht-Kapitalmarktteilnehmer und Tochtergesellschaften), erhalten eine Verlängerung von zwei Jahren.
Die Argumentation: Bürokratieabbau und KMU-Entlastung
Die Europäische Kommission begründet den Vorschlag mit dem hohen administrativen Aufwand und der fehlenden Umsetzungsreife in vielen Mitgliedstaaten. Unternehmen hätten zu wenig Zeit gehabt, sich auf die neuen Pflichten vorzubereiten. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen sei die Komplexität nicht tragbar.
In der Praxis ist das nicht ganz falsch – viele Unternehmen kämpfen mit der Umsetzung der Wesentlichkeitsanalyse, der Datenbeschaffung und der Governance-Strukturen für das Reporting. Doch statt gezielte Unterstützung zu schaffen, setzt die Kommission auf Rückbau. Die Botschaft: Wir machen’s erstmal einfacher – und gleichzeitig ungenauer.
Die Kritik: Rückschritt mit Signalwirkung
Die Reaktionen aus Zivilgesellschaft, Finanzwelt und weiten Teilen der Wirtschaft reichen von erleichtert über kritisch bis alarmiert:
- Verlust der Vergleichbarkeit: Ohne sektorspezifische Standards drohen beliebige, wenig belastbare Berichte, in denen Unternehmen sich die relevanten Themen selbst zusammenstellen – und unangenehme Wahrheiten einfach weglassen.
- Qualitätseinbußen bei der Prüfung: Die dauerhafte Beibehaltung der „limited assurance“ verhindert ein ernstzunehmendes Prüfregime. Die Glaubwürdigkeit der Berichte steht damit auf dem Spiel.
- Gefährliche Signale für Investoren: Gerade die Finanzmärkte brauchen konsistente, prüfbare ESG-Daten. Der Omnibus-Vorschlag sendet jedoch das Signal, dass Nachhaltigkeit nicht mehr verbindlich, sondern freiwillig wird.
- Widerspruch zur Taxonomie und zur SFDR: Die EU-Nachhaltigkeitspolitik basiert auf einem kohärenten Datengerüst. Wenn ein zentraler Pfeiler wie die CSRD geschwächt wird, geraten auch die anderen Instrumente ins Wanken.
Ist Nachhaltigkeit jetzt vorbei?
Nein – aber der politische Rückenwind wird schwächer. Das Omnibus-Paket ist kein Ende der Nachhaltigkeit, aber ein Dämpfer für all jene, die auf klare, verlässliche Standards gesetzt haben. Es ist ein Rückschritt in der politischen Verbindlichkeit, der nicht nur auf EU-Ebene, sondern auch in den Mitgliedsstaaten zu einer gewissen Demobilisierung führen könnte.
Was bleibt, ist die Verantwortung der Unternehmen selbst. Denn viele Anforderungen – etwa von Investoren, Kunden oder internationalen Regulierungen (z. B. SEC, ISSB) – bleiben bestehen. Zudem wird Nachhaltigkeit in der Realität der Märkte und Lieferketten weiter an Bedeutung gewinnen. Wer jetzt nur das gesetzliche Minimum erfüllt, handelt unternehmerisch kurzsichtig.
Fazit: Eine Chance zur Selbstverpflichtung
Das Omnibus-Paket könnte, paradoxerweise, eine neue Phase der Nachhaltigkeit einläuten in der es nicht mehr nur um gesetzliche Pflichterfüllung geht, sondern um strategische Selbstverantwortung. Unternehmen, die Nachhaltigkeit ernst nehmen, sollten sich nicht zurücklehnen, sondern jetzt erst recht zeigen, dass sie auch ohne regulatorischen Druck den Weg der Transformation aktiv gestalten.
Ein proaktiver, selbstbestimmter Ansatz kann nicht nur helfen, sich frühzeitig auf kommende Anforderungen vorzubereiten, sondern auch die eigene Position im Markt stärken. Die gewonnene Zeit lässt sich sinnvoll nutzen, um bestehende Strategien und Prozesse zu reflektieren und nachhaltig anzupassen.
Denn: Nachhaltigkeit ist kein Reporting-Thema.
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